Autonomie lehren –
„Wenn die Jugend keinen Ärger macht, wie soll sich dann etwas ändern?“
Inhaltsverzeichnis
Warum ist Autonomie schlecht mit dem traditionellen Schulsystem vereinbar ?
„Ich kenne ein′ Jungen,
so seltsam und weise
Manchmal ist er Stunden
ganz versunken und leise
Dann wieder wild und kaum zu halten
Als wäre er erfüllt von Naturgewalten
Er sagt
Ich bin nicht hier, um mich zu bemühen
Ich bin hier, um zu glüh’n
Ich bin hier, um zu blüh′n
Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n
Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n
Nein, ich bin hier für die Sterne
Und ich bin hier sehr gerne
Und ich bin hier, weil ich lerne
Ich bin nicht hier, um dir zu gefall′n
Ich bin nicht hier, um dir zu gefall’n“
(Dota Kehr, Für die Sterne)
Warum es kein Zurück mehr gibt
Wie oft „Funktionieren“ wir Erwachsenen im Alltag? Leider recht häufig, würde ich behaupten. Wenn wir funktionieren, dann sind wir gehorsam. Dann gefallen wir denen, die uns beibrachten, dass Funktionieren, die Aufgaben schnell erfüllen usw. besser sei als den eigenen Rhythmus spüren und den eigenen Weg zu gehen.
on all the crap I learned in high school
I can think at all
brachte man mir noch bei
dass ich nicht pünktlich und
nicht arbeitsam und tugendhaft
im preussischen Sinne
ähnlich ’nem Roboter,
der Ja und Amen sagt
Und die Vokabeln lernt
und andere verpfeift
so wie ein Hilfssheriff des Lehrkörpers
Und insgesamt recht aufmüpfig nur sei“
Beziehungwissen zum Hören: Lieder zum Thema Autonomie
Autonomie lehren sprengt das traditionelle Erziehungs-System: Der Club der toten Dichter
Wenn nicht autoritär – was dann?
Was Non-Direktivität nicht bedeutet
Autonomie im Kindergarten ermöglichen – Praxisbeispiel „Wilde 9“
- Die erwachsenen Fachkräfte sorgen zu aller erst für sich selbst
- Die Kinder finden eine immer zur Verfügung stehende vorbereitete Umgebung statt, sprich eine vielfältige Werkstattlandschaft plus Ruhe- und Toberaum und grossem Außenbereich
- Die Fachkräfte sind in erster Linie einfach nur da – es gibt nicht ständig etwas zu tun oder zu erledigen.
- Es gibt keinen pädagogischen Morgenkreis und keine verbindlichen Schlafzeiten
- Es können Kreise einberufen werden für bestimmte Anlässe, Ansagen, Geburtstage feiern usw.
- Durch das Da-Sein, die absichtslose Präsenz, können die Fachkräfte jederzeit Kindern helfen, sich sprachlich genauer auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu spüren oder in sozialen Konflikten zu navigieren
- Angebote sind freiwillig
- Angebote der Erwachsenen entstehen einerseits oft spontan aus den Beobachtungen und wahrgenommen Bedürfnissen der Kinder, z.B. Gespräche über den Tod, wenn ein totes Tier im Garten gefunden wurde
- Angebote entstehen andererseits aus den Leidenschaften der Erwachsenen fürs Motorsägen, Theaterspielen, Tanzen usw. (das heißt die persönliche Begeisterung wirkt ansteckend)
- Angebote entstehen aus Alltagsnotwendigkeiten, wie Gemüseschneiden für das Mittagessen, Hecke schneiden, Hausmeisterbauten begleiten, ein Laden besuchen. Hier übernimmt ein Erwachsener die Verantwortung und in der Regel finden sich immer Kinder, die gern dabei sind. Es werden keine Kinder aktiviert, motiviert oder angetrieben („Wir müssen jetzt Obst schneiden“). Eine Fachkraft kann sagen: „Ich bereite jetzt den Obstteller vor, mag mir jemand beim Schneiden helfen?“ und darauf vertrauen, dass Kinder gerne in die praktische Tätigkeit und Verantwortung gehen, wenn sie freiwillig bleibt.
Selbst-Verantwortung der Fachkräfte fördert Autonomie
Praxisbeispiel Schulversammlung
- wir mehr mit Euch in Kontakt sein können, wenn wir Euch einmal die Woche alle zusammen erleben können
- wir einen Ort anbieten wollen, wo Austausch möglich ist (selbst wenn ihr den dann nicht immer für euch nutzt)
- wir als Fachkräfte hier die Schule am Leben halten und so am einfachsten und effektivsten mit Euch allen zusammen Absprachen treffen können / verbindliche Ansagen machen können
- wir im Alltag nicht immer alles überblicken und uns manches entgeht
- wir als Fachkräfte nicht mit jedem Einzelnen alles absprechen können
- einen Ort für Bekanntmachungen und Dialogzeiten brauchen, z.B. warum wir als Schulteam etwas so und so entschieden haben und warum ihr Schüler:innen etwas so und nicht anders haben wollt
- wo wir als Team angesprochen werden können, als Team gesehen werden können
- wir als Team einen offizielles Gremium haben wollen, wo Team und Schüler:innen alle miteinander Gemeinschaft erleben, z.B. Beratungsprozesse über Ausflüge erleben, etwas feiern oder Abschied nehmen
Wenn wir Regeln und Regelverletzungen in den Vordergrund stellen, dann verlieren wir die direkte Beziehung im Hier & Jetzt. Es macht einen Unterschied, ob ich als Fachkraft sage: „Du musst kommen“ oder ob ich Eindruck als Mensch hinterlasse indem ich über mich selbst spreche „Ich will dass Du kommst, weil ich so meine Arbeit hier am besten machen kann.“
Autonomie lehren braucht Führung und Freiheit vom System
Eine jugendlich erfrischende und und kraftvolle „Coming of Age “ Serie ist „Hrawang – the poet warrier youth“. Die Netflix-Serie spielt in einer koreanischen Eliteschule für männliche Aristokraten im 5. Jahrhundert, die es wirklich gab. Allerdings bezweifle ich, dass es in Wirklichkeit so idealtypisch und reformpädagogisch war, wie im Film dargestellt. Aber mich interessiert ja weniger die historische Faktenlage als mehr das Menschenbild und die Idee von Schule, wie sie hier dargestellt wird.
Interessant ist auch, dass das Grundthema der Serie – darf die Jugend für Machtzwecke instrumentalisiert werden – genau dem empfehlenswerten Buch von Jesper Juul entspricht: „Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?„ Dieses dünne kleine Büchlein über Kitabetreuung gilt zwar einem anderen Alter – aber das Prinzip hört ja bei der Schule und Ausbildung nicht auf.
Selbst-Verantwortung und Autonomie hat beim Filmhelden wie im echten Leben mehrere Säulen:
- der Held wächst frei und fernab vom Machtsystem auf und wird nicht nach den üblichen gesellschaftlichen Rollenbildern der Oberschicht bewertet, wird also in seiner Kindheit nicht „gebrochen“
- der Held darf seine Aggression frei als mentale Stärke und körperliche Kampfkraft entwickeln
- der Held bekommt Ausbildung/Anleitung und dazu praktische Herausforderungen, die ihn wirklich fordern (das Projekt Herausforderung hat sich ja bereits an einigen Schulen für Jugendliche sehr bewährt)
- Der Held wird vom Schulleiter nach anfänglichen Schwierigkeiten gleichwürdig behandelt und erlebt Führung auf Augenhöhe
- das Setting der Schule ermöglicht Freundschaft und Kameradschaft
- dazu bringt der Held alle Talente, die kompetenzbasierte Führung ermöglichen, quasi angeboren bzw. durch seine besondere Kindheit mit
Die Serie begleitet den Helden und fünf sehr unterschiedliche junge Männer ins Erwachsenwerden. Im Fokus steht wie sie mit dem herrschenden Kasten-System umgehen. Dass die Hwarang-Eliteschule ihre Schüler am Ende im Film zu autonomen, selbst-verantwortlichen Menschen ausbildet liegt ebenfalls an einigen Voraussetzungen, die heutige Schulen eher selten vorfinden:
- Ein Schlüssel zum Erfolg: der Schulleiter hat freie Hand . Das war ein cleverer Schachzug, daß er nur unter dieser Bedingung die Schulleitung zusagte. Er muss sich an keine Lehrpläne halten und so entwickelt er seinen eigenen ungewöhnlichen Lehrplan: Der erste Schultag beginnt mit Schnapstrinken, damit die Schüer ihre eigenen Erfahrungen mit Alkohol, Kontrollverlust und Konsequenzen machen können.
- Erfahrungen statt Reden und Pauken – ein ganzheitliches Trainingsprogramm, von dem heutige Schulen auch weit entfernt sind: Tanz, Gesang, Philosophie und Kampfkunst. Die körperliche Erfahrung in der Kampfkunst ist kein Sportstunde der Woche sondern zentraler Bestandteil.
- Die Schulleiter will nicht gefallen und gemocht werden – weder den Schüler:innen noch den besorgten Eltern redet er nach dem Mund oder macht Zugeständnisse. Was für eine wichtige Voraussetzung, um freie Entscheidungen zu treffen! Und am Ende wird er wichtigster Berater der Schüler – weil sie ihn und seine unabhängige Meinung achten und schätzen.
Kraftvoll finde ich persönlich die Serie auch deswegen, weil die jungen Männer hier sehr körperlich sein dürfen. Es wird viel gekämpft und zugeschlagen. Aber während ich die vielen Kampfszenen in den meisten Filmen als angebliche Problemlösung ermüdend finde, hat hier das Kämpfen mehr den Ausdruck von Körperlichkeit und Authentizität. Es zeigt Leidenschaft und hilft bei der Problemlösung – aber ist niemals selbst die Problemlösung! Diesen befreienden Umgang mit Körperlichkeit und gesunder Aggression, um für sich und nicht gegen andere zu kämpfen zu lernen, das wäre auch für uns heute wegweisend in unserem verkopften Schulsystem.
Neben perfekter Kameraführung ist bei dieser Serie auch der Soundtrack hervorragend. Mit einem Symphonieorchester eingespielt ist die Musik auch allein ein Genuss und gibt dem Film Schwung, Humor und Tiefe. Du findest meine Lieblingstitel auf der Playlist siehe unten.
Die Story beinhaltet natürlich auch die grosse Liebe, Freund- und Feindschaft und wie wir unseren Platz in der Gesellschaft finden. Warum die Filmform des Kunstmärchens für diese Themen so sinnvoll ist, findest Du näher in meinem Blogartikel „Bereit für grosse Gefühle?“ beschrieben.
Mich freut dabei, dass neben der leichtgängigen Unterhaltungsebene doch immer tiefer darunter das Thema Angst- oder Vertrauenskultur mitschwingt. Also Unabhängigkeit/Gleichwürdigkeit versus Machtbeziehungen. Und das wird sogar sowohl vom Held als auch der Heldin jeweils in der damaligen Männer- bzw. Frauenwelt anschaulich praktiziert.
Nur eine unabhängige Jugend kann die Gesellschaft erneuern – eine wunderbare mutmachende Botschaft des Films, die ja heute aktueller denn je ist. Wie der Schulleiter so schön sagt: „Wenn die Jugend keinen Ärger macht, wie soll sich dann etwas ändern?“
Autonomie lehren braucht Präsenz und Anerkennung
Diese herausragende Dokumentation zeigt den Alltag einer Schulklasse, wie es sie überall in Deutschlands gibt. Viele Kinder haben Migrationshintergrund, viele Kinder tun sich schwer mit dem Lernen. Und doch ist „Herr Bachmann und seine Klasse“ ein einzigartiger Film. Weil hier gezeigt wird, welchen Unterschied Beziehungskompetenz in der Lehrtätigkeit macht. Durch seine Fähigkeit mit den Kindern in Beziehung zu sein schafft er es, die Kinder seiner 6. Klasse wachsen zu lassen. Er bietet Präsenz statt Stofforientierung. Anerkennung statt Notenfixierung. Dieser Film belehrt nicht, dieser Film macht Mut: Schule kann anders sein! „Herr Bachmann und seine Klasse“, Gewinner des Silbernen Bären bei der Berlinale.
Führen auf Augenhöhe
- präsent bist
- souverän deine eigenen Grenzen wahrst und schützt
- andere schützen kannst
- dich authentisch zeigst und handeln kannst
- Entscheidungen treffen kannst, also agierst und nicht reagierst
- leidenschaftlich für Deine Werte einstehst und diese selbst lebst
Das Problem von Eliteschule und wie sich das herrschende System immer wieder selbst reproduziert
Weil hier zwei der von mir genannten Filme von Eliteschulen handeln möchte ich nicht versäumen, diese spannenden und erschreckenden Einblick in die Funktion von Eliteschulen im herrschenden Wirtschaftssystem zu geben. Wie gesagt, mich interessieren hier an dieser Stelle „nur“ die allgemeinen Bildungsprinzipien, die an jeder Schule umsetzbar wären. Aber Eliteschulen haben auch einen politischen Effekt und das solltest Du vielleicht auch über die Existenz von Eliteschulen wissen…
Workshops für Beziehungskompetenz auf dem Mirabellenhof
Wenn Du mehr Liebe, Leichtigkeit und Führungskompetenz in Deinen privaten und beruflichen Beziehungen erleben willst, dann kannst Du hier Dein Handwerkszeug dazu erweitern: Unsere pferdegestützten Workshops bieten Dir in kleiner Gruppe und geschütztem Rahmen die Erforschung und Erweiterung Deiner individuellen Beziehungsmuster. Oder Du kommst mit Deinem ganzen Team, damit ihr zusammen Führungskompetenz auf Augenhöhe tiefer erforscht und weiter entwickelt.
In den pferdegestützten Workshops kannst Du in einem geschützten, sicheren Setting körperlich erleben, wie es sich für Dich anfühlt, wenn Du ganz DA bist und Deine volle Kraft nutzt. Wie Du für Deine Grenzen sorgst, klar bist in Konflikten und gerade dadurch echte Friedlichkeit ausstrahlst.
Beratungen und Workshops für Beziehungskompetenz helfen Dir privat wie beruflich Beziehungen aktiv auf Augenhöhe zu gestalten. Erfahre, welchen Unterschied es für Deine privaten wie beruflichen Beziehungen macht, wenn Du Dich grenzsicher, selbst-verantwortlich und authentisch verhältst.