Vier Prinzipen, die glückliche Menschen in Beziehungen leben
Seit über zehn Jahren nutze ich in meiner Coaching- und Supervisionspraxis die Erkenntnisse von Jesper Juul. In meiner 4jährigen Ausbildung durfte ich von ihm lernen und praktisch erfahren, dass es ganz konkrete Gründe gibt, warum manche Menschen glücklicher sind als andere!
Denn es kristallisieren sich immer wieder die gleichen „Naturgesetze für Beziehungen“ heraus und hier möchte ich Dir jetzt vier Grundprinizipen vorstellen, die glückliche Menschen in ihrem Beziehungsleben beherzigen. Diese Prinzipien gelten für alle zwischenmenschlichen Beziehungen, ob in Familie, als Paar oder im Arbeitsteam, die auf Augenhöhe zusammen sein wollen.
Achtung! Es gibt nur eine Einschränkung: Diese Prinzipien gelten nur für gleichwürdige Beziehungen. Du solltest sie nicht unbedingt anwenden, wenn Du Dich von jemanden abhängig fühlst. Wenn es für Dich z.B. nicht okay ist, dass Dein Chef Dich feuert, dann ist auch besser nicht immer authentisch zu zeigen, was Du denkst und fühlst!
Beziehungsglück braucht keine Regeln, aber Werte!
Es ist übrigens sehr bewusst die Sprache von Werten (oder auch Prinzipien, Grundhaltungen) und nicht von Regeln. Werte, die wir wichtig finden, prägen unsere Haltung und Einstellung. Diese Haltung lässt sich dann nicht an einzelnen Worten oder Taten messen, sondern ist eher eine Art Gesamteindruck, den wir bei anderen hinterlassen. Deswegen ist das Miteinander auf Augenhöhe im Sinne Juuls kein Sammelsurium von Regeln, Tipps & Tricks, die wir einfach so „abspulen“ könnten.
Merke: Eine Beziehung wird immer durch unsere Werte geprägt. Unser unsichtbares Wertesystem prägt unser konkretes, sichtbares Verhalten.
Regeln sind immer Teil eines Machtkampfs, der zur autoritären Weltsicht gehört. Neue Beziehungs- und Führungskultur bevorzugt den Dialog oder macht, falls nötig, klare Vorgaben, aber diskutiert keine Regeln und setzt keine Regeln durch. Denn Regeln beinhalten immer eine Drohung: Wenn Du Dich nicht an die Regel hältst, dann bestrafe ich Dich…
Klingt verrückt, sagst Du?
Willkommen in im neuem Universum der Leichtigkeit von Beziehungen, ich persönlich nenne es Vertrauenskultur.
Vertrauen ist das Ergebnis
Aus jahrzehntelanger Erfahrung wissen wir: die folgenden vier Prinzipien (Werte) geben uns eine konstruktive Art und Weise an die Hand jegliches Miteinander zu gestalten. Wenn wir uns darauf verlassen können, daß unser Gegenüber bei sich bleibt, uns nicht mit Worten verletzt, sich echt zeigt und uns ernst nimmt – dann schenken wir Vertrauen als Ergebnis unserer angenehmen Erfahrung!
Die vier von Jesper Juul beschriebenen Werte, die Menschen so glücklich machen, heißen im Fachjargon Integrtiät, Verantwortung, Authentizität und Gleichwürdigkeit. Aber wer weiss schon, was das im Alltag heißen soll! Wenn ich auf Seminaren in die Runde frage, was denn Integrität sei, dann kriege ich so viele unterschiedliche Antworten, wie Menschen da sind. Das ist nicht hilfreich, wenn ich mich im Alltag frage: was nun?
Deshalb habe ich basierend auf den vier Werten von Jesper Juul das Beziehungs-ABC für gleichwürdige Beziehungen entwickelt (Ab Januar 2023 als Onlinekurs verfügbar, trag Dich auf meine Newsletterliste ein, dann verpasst Du den Start nicht). Dieses ABC kannst Du Dir leicht merken und es Dir jederzeit abrufen und als Orientierung nutzen:
- wie wir uns selbst und Andere ernst nehmen können.
- wie wir fair und gewaltfrei mit Bedürfnissen umgehen.
- wie wir respektvolle Führung auf Augenhöhe leben können.
1. Prinzip
Meine Perspektive ist genauso richtig wie Deine –
Gleichwürdigkeit

Dieses Wort hat Jesper Juul erfunden, weil er beschreiben wollte, daß jeder Mensch (und jedes andere Lebewesen, A.d.V.) die gleiche Würde hat, aber nicht gleichberechtigt ist. Ein Baby hat genauso viel Würde und verdient den gleichen Respekt, wie ein Erwachsener. Ein Kind allerdings hat sehr viel weniger Erfahrung und kann die Konsequenzen seines Handelns viel weniger abschätzen als ein Erwachsener, deswegen sollte es mit Erwachsenen nicht gleichberechtigt sein. Aufgrund der größeren Erfahrung tragen Eltern in Familien die Führungsverantwortung, geschieht das nicht, werden Kinder überfordert. Das gleiche gilt für unser Arbeitsleben, Menschen mit großer Erfahrung sind respektierte Führungskräfte und die, denen wir gerne folgen.
Gleichwürdigkeit spüren wir im Alltag dann, wenn wir uns ernst genommen fühlen vom Anderen. Wenn unsere Sichtweise nicht als „Quatsch“ abgetan wird, egal wie realistisch oder unrealistisch unsere Einschätzung gerade ist. Wenn wir angehört werden und unsere Meinung zählt. Anerkennung ist hier der spannende Fachbegriff. Viele junge Eltern verwechseln Gleichwürdigkeit mit einer Art Kinderdiktatur, in der die Kinder alles bestimmen und nur nach Lust & Laune agieren – aber genau das meint Jesper Juul damit nicht.
2. Prinzip
Nur ich bestimme über mich und meinen persönlichen Raum –
Integrität

Jeder Mensch hat einen persönlichen Raum und dieser Raum hat eine sehr klare, konkrete persönliche Grenze. Das Adjektiv „persönlich“ ist wichtig hierbei, denn es sind subjektiv empfundene Grenzen, jeder Mensch, jedes Lebewesen definiert seinen Raum und seine Grenze in jedem Moment neu!
Wenn wir jemanden schlagen, dann verletzen wir den persönlichen Raum dieses Menschen. Wenn wir jemanden beschimpfen, dann schlagen wir mit der Zunge – wie Jesper Juul es beschrieb – wir verletzen ebenfalls den persönlichen Raum eines anderen Lebewesens. Unser Nervensystem kann interessanterweise nicht unterscheiden, ob es sich um eine körperliche oder seelische Verletzung handelt – für unser Nervensystem tut beides weh, ist beides gefährlich und auf beides reagieren wir mit Kampf, Flucht oder Erstarrung!
Filmtipp zum Thema Integrität: Spirit, der wilde Mustang siehe auch mein Blogartikel: 10 unterhaltsame Spielfilme über gleichwürdige Beziehungen.
3. Prinzip
Ich zeige mich, wie ich bin und riskiere den Konflikt mit Dir – Authentizität

Dieser Wert meint unsere angeborene Tendenz, einfach so sein wie wir sind. Natürlicherweise würden wir uns nicht verstellen, sondern alles von uns zeigen, was gerade in uns an Gefühlen, Gedanken und Bedürfnissen ist.
Durch schmerzhafte Erfahrungen mit unseren Eltern und anderen Menschen lernen wir „nicht-authentisch“ zu sein, das heißt, bestimmte Seiten, Gefühle, Bedürfnisse an uns zu verstecken. Wir spielen die Rolle des lieben Kindes, oder der allwissenden Mama oder des fürsorglichen Papas… je nachdem, wie unsere Lebenserfahrungen in Beziehungen uns geprägt haben.
Wir tun das, weil wir irgendwann in unserem Leben für unsere Echtheit verletzt worden sind – irgendjemand hat uns lächerlich gemacht für unser Kinderweinen um einen alten Teddybären oder irgendjemand hat uns ausgeschimpft oder gar bestraft, wenn wir Wut, Ärger , Kampfgeist oder anderes zeigten.
Obwohl wir alle selbst nicht 100%tig authentisch sind, reagieren wir fast alle gereizt, wenn uns jemand begegnet, der nicht authentisch handelt – wir spüren die Doppeldeutigkeit der Aussagen oder unsere Irritation. In einer Familie oder einem Team führt mangelnde Authentizität dazu, dass es unlebendig, stockend wird. Wir gehen dadurch Konflikten aus dem Weg gehen, können aber genau deshalb keine konstruktiven Lösungen finden und uns gemeinsam entwickeln.
Hier noch ein Blogbeitrag zu Authentizität von mir: Warum es sich ohne Echtsein nicht gut leben lässt.
4. Prinzip
Für meine Gefühle und meine Bedürfnisse bin nur ich selbst verantwortlich – Selbst-Verantwortung

Dieser Wert hieß bei Jesper Juul und in seinen Büchern nur Verantwortung. Aus meiner Erfahrung, daß dieser Wert am schwierigsten von allen zu verstehen ist, nutze ich ihn nur noch mit der Erweiterung Selbst-Verantwortung. Denn fast alle Menschen verstehen unter Verantwortung, das Handeln FÜR andere, das Rücksichtnehmen auf andere … und genau das definiert Jesper Juul als Über-Verantwortung. Gemeint ist hier, daß Du für Deinen Raum, Deine Gefühle, Deine Grenzen, Deine Gedanke und Deine Bedürfnisse selbst verantwortlich bist. Niemand ist dazu da, Dir Deine Bedürfnisse zu erfüllen, weder Dein*e Partner*in noch Deine Kinder – das ist Mißbrauch! Und niemand ist schuld daran, daß Du Dich vielleicht schlecht fühst oder wütend bist. Obwohl das Gefühl sicher von jemand anderem ausgelöst wurde, ist es trotzdem DEIN Gefühl und Du musst Dich selbst darum kümmern. Ich behaupte, von allen 4 Werten ist Selbst-Verantwortung der Wert, der uns am wenigsten vertraut ist und deshalb die größte Herausforderung darstellt. Mangelnde Selbst-Verantwortung zeigt sich, wenn Du gerne meckerst, jammerst, anklagst, Vorwürfe machst und Schuld zuweist. Alles Verhaltensweisen, die wir im Alltag sehr gerne tun und die fast überall noch salonfähig sind!
Filmtipp für gelebte Selbstverantwortung: Unsere Seelen bei Nacht siehe auch mein Blogartikel „10 unterhaltsame Spielfilme über gleichwürdige Beziehungen„.
Buchtipps für Beziehungskompetenz
Zum Weiterlesen für Eltern: „Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen“ von Jesper Juul. Zum Weiterlesen für Fachkräfte im sozialen Bereich: Jesper Juul & Helle Jensen: „Vom Gehorsam zur Verantwortung.“
Und was heißt das für die Praxis?
Feuer für die Paarbeziehung
Wenn Du diese Grundprinzipien anwendest, wirst Du merken, daß Deine Paarbeziehung Feuer unter dem Hintern bekommt und ihr immer wieder in Wachstumsphasen kommt, die Deine Beziehung lebendig hält. Und andersherum entdeckst Du vielleicht Situationen, die seit Jahren den gleichen unbefriedigenden Konfliktverlauf haben. Diese Konflikte sind eine Einladung zu suchen, wo beide Partner die vier Grundprinzipien verletzen und die traurige Folge ist immer Stillstand oder destruktiver Kampf. Online-Paarberatung kann Euch dann helfen, die blinden Flecken zu finden und das individuelle Wachstumspotenzial Eurer Beziehung anzugehen.
Entspannter Familienalltag
Für Familien kann sich der Alltag massiv ändern, wenn die oberste Wert nicht mehr lautet „wie funktionieren wir am besten“ sondern wie bekommt jede:r seinen/ihren persönlichen Raum (Integrität) und wie werden alle Grundbedürfnisse gedeckt (Selbst-Verantwortung)?
Die Idee, daß jede:r in der Familie Raum bekommt und darauf achtet, daß sein Handeln integer bleibt, schafft enormen Freiraum für alle, der sich grossartig anfühlt (auch in einer kleinen Wohnung). Da wir für diese Art von Familienleben in der Regel keine Vorbilder haben, müssen Eltern experimentieren, was es heißt, dass jedes Elternteil zuerst für sich selbst sorgt. Wir müssen lernen die sinnvolle Überlebensstrategie aus dem Flugzeug „Setz Dir immer zuerst selbst die Sauerstoffmaske auf, nur dann kannst Du für andere dasein“ auch am Boden und in unserem Alltag anwenden lernen!
Vertrauen wieder aufbauen: Getrennte Eltern – klare Kommunikation
Nichts ist schwieriger als klar und fair miteinander zu reden, wenn alte Verletzungen im Raum stehen und die Gefühle immer wieder hoch kochen. Auch hier helfen die vier Prinzipen, damit unsere Botschaft ankommen kann und Dialog statt Rosenkrieg entstehen kann. Hier braucht es manchmal für die ersten Schritte in eine neue Beziehungskultur die Hilfe eines sicheren Settings in einer Beratung für getrennte Eltern. Denn nach einer schmerzhaften Trennung die Perspektive des Anderen wirklich ernst zu nehmen und nicht als Unwahrheit abzutun (Das war doch gar nicht so, Du übertreibst, Das stimmt doch gar nicht) ist eine grosse Herausforderung. Die Lösung klingt einfach, ist aber bei mangelnder Übung nicht so einfach umzusetzen: Der andere darf das so sehen und ich bleibe bei mir, meinen Bedürfnissen und meinen Grenzen. Das Wohlbefinden der Kinder hängt am Ende an der Kompetenz der Eltern, trotzt Trennung wieder ins miteinander Reden zu kommen und die Zukunft gestalten zu können, ohne neue Verletzungen zu erzeugen.
Vertrauenskultur beruht auf Teamarbeit auf Augenhöhe
Wie wäre das, wenn wir kraftvoller von der Arbeit kommen als wir hingegangen sind? Wenn uns die Arbeit Power gibt statt zieht? Das kann passieren, wenn ein Team co-kreativ in den Flow kommt und sein Schwarmintelligenz voll ausschöpft! Aber auch hier braucht es Erfahrung und Übung, wie das geht: im Arbeitssetting integer, selbstverantwortlich und authentisch zu handeln. Die Fortbildung „Starkes Team“ zeigt Euch mit Hilfe von pferdegestütztem Coaching wie ihr die vier Grundprinzipen als Fundament für inspirierende und effektive Teamarbeit nutzen könnt.
Gilt das auch für Tiere?
Allerdings – alle sozialen Lebewesen werden mit diesen Prinzipen glücklich. Du kannst es also genau in Deiner Beziehung zu Deinen Hühnern, Deinem Hund oder Pferd anwenden. Wir bieten deshalb Seminare dazu an, z.B. der Mensch wie Hund Workshop – da kannst Du es mit Deinem eigenen Vierbeiner live auf dem Mirabellenhof lernen und erleben.
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Weil die oben genannten Grundhaltungen so unverzichtbare für moderne gleichwürdige Beziehungen sind, kannst Du sie auch als unverhandelbar bezeichnen. Alles andere ist persönlicher Stil – und auf Basis dieser vier Werte kannst Du anderen Menschen viel Freiheit geben. Ob laut oder leise, langsam oder schnell, kreativ oder routiniert – wie Dein Partner die Kinder ins Bett bringt ist seine Sache. Denn Stilfragen sind Geschmackssache und lohnen keinen Streit, nur Respekt.
Aber Werte lohnen eine längere und konstruktive Auseinandersetzung, in der wir uns am Ende tiefer verbinden oder besser im Frieden trennen.