Liebe Deine Feinde – Wie wir Terroristen umarmen können ohne Gewalt zu akzeptieren.

Es sind aufrüttelnde Zeiten, in denen wir leben. Trump und Terror erschrecken mich. Aber noch mehr als diese gesellschaftlichen Untiefen und Ohnmächte erschrecken mich die Ansagen von Politiker*innen, den Terror jetzt „hart zu bekämpfen“. Das sind genauso populistische Aussagen, wie Trump sie gerne macht – denn Kampf und harte Gefängnisstrafen allein hat noch so gut wie nie Terror besiegt oder Täter*innen wieder in empathiefähige Menschen verwandelt. Was wir brauchen ist ein Verständnis, warum aus Menschen Terrortäter*innen werden und was es braucht, diese unsägliche und unakzeptable Gewalt in konstruktive Transformationskraft zu verwandeln, die unsere Weltgemeinschaft dringend bräuchte. Restorationszirkel zum Beispiel gehen einen anderen Weg der Versöhnung und wir könnten die Haltung aus dem Text hier unten versuchen zu praktizieren.


„Meinen Hass bekommst Du nicht.

Meinen Hass bekommst du nicht. Du bekommst meine Betroffenheit und Traurigkeit, meine Ruhe und Entschlossenheit. In mir wächst das Mitgefühl und die Liebe. Ich fühle mit den Familien der Getöteten, den unendlichen Schmerz, wie der Boden unter den Füßen schwindet. Ich fühle mit den Verwundeten und Verletzten, mit ihren Familien und Freunden. Das Entsetzen, die Angst, die Wut, die Trauer. Es tut weh, so weh. Ein Ozean von Schmerz durchwallt unsere Stadt, unser Land, unsere Welt.

Ich fühle mit den Tätern, jedem einzelnen. Den übergroßen Hass, die unerfüllten Sehnsüchte, die versteckten Ängste. Du bist ein Mensch. Ich werde dich zu nichts anderem machen. Du bleibst in der Verantwortung. Die Machtlosigkeit hat sich brennend durch dich gegraben. Dein Gieren nach Zugehörigkeit und Geborgenheit hat dich verzehrt. Dein Kampf um Beachtung war verloren. Tausendfach verloren.

Dein Morden verkleidest du in Männlichkeit. Es ist ein kindlicher Schrei nach Liebe. Warum hat dich diese Welt nicht genährt? Welche Umarmung wurde dir verweigert? Wieso bist du dem Feuer deiner Seele nicht begegnet? Die Fackel, die du trägst, ist nicht deine. Du wolltest verbunden sein mit Menschen, mit einer Idee, mit einem „Gott“. Du wolltest groß sein, so groß wie die freie Welt. So groß, wie das Leben. So groß wie der Tod. Du wolltest Lebendigkeit spüren und findest sie nur am Abzug einer Waffe. Du wolltest ein Mann sein, ein echter Mann, der für Großes durchs Feuer geht. Die Gier nach diesem Feuer, nach der Größe, nach der Lebendigkeit hat dich verschlungen, verblendet, verkrüppelt. Du mordest, um dich zu spüren. Du bist innerlich gestorben.

Es ist ein Rausch, der dich erfüllt. Jäh und kurz. Dein Herz weint, dein innerer Ort erstickt. Du bleibst abgeschnitten von dir selbst. Bleierne Leere wühlt bis ans Ende deiner irdischen Tage in dir. Du wolltest ein Held sein, du bist krank geworden. Todkrank.

Mein Gang wird achtsamer. Mein Blick wird klarer. Mein Handeln entschlossener. Wir sind Menschen. Kinder des freien Willens. Radikal soziale Wesen. Ich bin verbunden, mit dem Leben, dem Tod, den Menschen, mit dir – du Mörder, du mordender Mensch. Meinen Hass bekommst du nicht. Eine weinende Umarmung.“

© Matthias Strolz 2020-11-03