Warum Feedback die Basis für innere Entwicklung und inneren Frieden ist

Ich bin ja ein Mensch, der gerne viele Dinge tut und ich lebe meine Leidenschaft für bewegte Meditation (Sheng Zheng Qigong) genauso wie für die Arbeit mit Pferden, Familienberatung oder die Arbeit mit Kita/Schulteams… aber es gibt einen Kern, der alle diese Dinge miteinander verbindet:

Ich erlebe es als einen wesentlichen Teil meiner Beratungsarbeit eine Art „liebevoller Spiegel“ zu sein, der seinen Klienten zurückspiegelt (oder modern ausgedrückt: Feedback gibt), wie ich sie erlebe. Und genau da, wo es nicht so läuft, wie die Klienten gerne wollen – da ist der Punkt, wo Innenwahrnehmung und Außenwahrnehmung oft sehr unterschiedlich sind.

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Du bist nicht das, was Du glaubst zu sein. Oder wie Byron Katie im Bild sagt, Du bist im Kampf mit Deiner eigenen Realität.
Damit meine ich, dass uns oft Menschen und Tiere anders wahrnehmen als wir glauben zu sein. Ich halte mich vielleicht für einen liebevollen, verständnisvollen Menschen, aber Partner und Kinder erleben mich auch oft unnachgiebig und hart. Ich selbst habe mich jahrelang über meine starke Wut als Kind und Jugendlicher gewundert und mich dafür gehasst – aber mein Selbstbild war die des immerfreundlichen Mädchens, das ab und zu ein paar Aussetzer hat. Eine junge lebenslustige Frau im Pferdecoaching staunt über sich selbst, dass sie plötzlich so zaghaft ist und sich nicht traut, Raum zu beanspruchen, weil das eine Zumutung für den anderen sein könnte.

Warum klafft da an manchen Punkten so ein große Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung? Ich glaube, dass es mit kulturellen Besonderheiten der Deutschen zu tun hat: Da wir alle in der Regel mit Lob & Kritik aufgewachsen sind, fehlt uns im fast besorgniserregendem Maße die Erfahrung von persönlichem Wachstum durch wertschätzende Rückmeldung (Feedback) von anderen. Wertschätzende Rückmeldung ist eine neutral-respektvolle Aussage, wie wir auf andere wirken und bewertet nicht, ob die Wirkung gut oder schlecht ist. Wenn mir einer sagt: „Du bist doof“ ist das eine Fremddefinition und Abwertung meiner Person, keine Rückmeldung. Wenn mir einer sagt: „Ich kann es nicht leiden, wenn Du das und das tust“ ist das eine Rückmeldung, wie es der Person mit meinem Verhalten geht. Dann kann ich mich dafür interessieren, warum es dem anderen so geht und kann danach entscheiden, ob ich der Person mein Verhalten so zumuten will oder ich mich durch ein anderes Verhalten besser ausdrücken will.
Die meisten Menschen haben kaum wertschätzendene Rückmeldungen in ihrem Leben erhalten, ich habe sogar Menschen erlebt, die in neutralen Feedbacks immer noch Kritik gehört haben,  weil sie gar nicht wahrhaben und glauben konnten, dass es etwas jenseitig von verherrlichendem Lob und vernichtender Kritik gibt.
Ich kann von mir persönlich sagen, dass ich noch vor einigen Jahren innerlich fast gestorben bin, wenn andere mir Rückmeldungen gaben – einfach weil ich aus einem hart bewertenden Elternhaus komme und eine berechtigte Kindheitsangst vor vernichtender Kritik mit mir rumschleppe. Erst durch das Hören sehr vieler Feedbacks von vielen unterschiedlichen Leuten kann ich nun vertrauen, dass ich spüre, was für mich zutrifft oder nicht, dass mich Feedback nicht persönlich vernichtet wie die elterliche Kritik früher und dass ich es aushalte, dass es nicht allen mit mir gleich gut geht.

Es hat leider dramatische Folgen für unsere Potenzialentfaltung, wenn wir zu wenig wertschätzende Rückmeldungen bekommen und daher eigentlich gar nicht genau wissen, wie wir auf andere wirken! Wir bauen uns dann unser eigenes theoretisch-künstliches Image auf mit den Werten unserer Eltern oder anderer Vorbilder und gleichen dieses Innenbild nicht mehr mit der Realität ab, wie uns andere wahrnehmen.

Mit den Pferden arbeite ich deshalb so gern, weil sie sehr fein jede innere Haltung spiegeln, die ein Mensch annimmt. Ob ich überzeugend und präsent bin, kann ich sofort an der Reaktion des Pferdes ablesen. Viele Klienten wundern sich dann, dass ihnen einfache kleine Aufgaben mit dem Pferd schwer fallen und bekommen plötzlich eine reellere Selbstwahrnehmung: „Achso, ich reagiere erst so spät und dann flippe ich gleich aus… mein Gegenüber hat ja kaum Zeit, sich auf mich einzustellen“. Die Reaktion des Pferdes macht die Innenwahrnehmung „echter“. Und erst wenn wir mit allen unseren Gefühlen bekannt sind, können wir authentisch handeln, überzeugend sein und unsere Lebensziele wirklich umsetzen.

Auch in der Körperarbeit mit der bewegten Meditation Sheng Zhen Qigong kann ich diese feinen Unstimmigkeiten sehen und Klienten darauf aufmerksam machen. Die wunderschönen, fliessenden Bewegungen haken manchmal an einer Stelle, z.B. benutzt vielleicht ein Klient seinen ganzen Körper, nur die Hände sind wie abgetrennt und bewegen sich nicht synchron mit dem Rest des Körpers. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit dann auf die Hände richten und uns dort spüren, verändert sich alles. Und ganz besonders das innere Bild von mir selbst und damit auch mein Sein.

Manchmal ist dieser Abgleichprozess von innen und außen schmerzhaft. Unser Image wird ernsthaft beschädigt und es hört sich bedrohlich an, welche Persönlichkeitsseiten da zum Vorschein kommen. Welcher Elternteil möchte schon gern hören, dass er sich da im Alltag ganz klein macht und dem Partner viel zu viel Macht einräumt oder dass angeblich „einfache“ Dinge, wie das Zubettbringen des Kindes,  starke Ohnmachtsgefühle auslösen können. Und dennoch ist das wunderbare, das ich immer wieder erlebe, wie ganz, kraftvoll und präsent Menschen plötzlich sind, wenn sie sich diese bisher verdrängten (aber immer dagewesenen) Gefühle erlauben! Und die kraftvollsten Menschen, die ich kenne, sind die, die ihre Ohnmachtserfahrungen verwandelt haben durch Annahme.

Das ist es, was das Bild uns sagt: Es gibt zwei Arten zu sein, im Krieg mit der Realität oder im Frieden mit der Realität. Wenn wir im Krieg mit der Realität sind, wundern wir uns, warum trotz guter Absichten so vieles in unserem Leben nicht gelingt und ärgern uns über Menschen, die sich nicht passend zu unserem künstlichen Image von uns verhalten. Wenn wir im Frieden mit der Realtität sind, dann leidet kurzfristig unser Image und muss etwas angepasst werden, aber langfristig entspannt sich tief in unserem Inneren ein Gefühl von  „so bin ich ganz und richtig“ und das ist ein Wunder, dass alle Beteiligten spüren und ich immer wieder gern erlebe.

Ein Aspekt meiner Coachingarbeit in der erlebnisorientierten Beratung ist es also, dass dieser Satz immer weniger zutrifft: Du bist nicht das, was Du zu sein glaubst. Nein, Menschen lernen durch Supervision und Coaching sich selbst und andere bewusster & ganzheitlicher wahrzunehmen. So kann ich Menschen respektvoll und warmherzig helfen ihre eigene Innen- und Außenwahrnehmung abzugleichen und ein tieferes Gefühl von „so bin ich jetzt und ich bin so in Ordnung“ zu bekommen.

Eine Nebenwirkung dieser Art von Coaching und Supervision ist es, dass sich allein dadurch ein ganz neuer Blick auf altbekannte Situationen ergibt, z.B. warum es mir manchmal nicht gelingt, die Kindergruppe ruhig zu bekommen oder warum ich doch immer wieder jemanden anschreie – und erst dann sind die Lösungen oft einfach. Sie ergeben sich aus dem neuen Blickwinkel auf mich selbst. Manchmal müssen wir neue Haltungen noch etwas üben bis wir sicher darin sind, aber das ist der kleinste Teil der Wachstumsarbeit unserer Persönlichkeit.

Katrin Paul, www.beziehungskompetent.de